05. JULI 2020

Gedanken zum Sonntag, 05. Juli 2020

Meditation zu Galater 6,2

„Einer trage des anderen Last; so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen“

 

Lasten tragen: Das ist doch zunächst einmal eine Zumutung, in die ich mich nicht unbedingt freiwillig hinein begeben will – oder? Unbesorgte Leichtigkeit – das ist doch eher etwas, was mich beflügeln würde. Doch dann frage ich mich, ob das denn wirklich ein Widerspruch ist – Lasten tragen und sich beflügelt fühlen.

 

Ich denke an den berühmten Song von „The Hollies“, der schon Ende der 1960-er-Jahre ent-stand und noch 1988 auf Platz 1 der britischen Hitliste gelang: He ain’t heavy, He‘s my brother“. Übersetzt: Er ist nicht schwer, er ist mein Bruder. Der Songschreiber wurde inspiriert von einem Bild: Ein Junge trägt seinen Bruder, der über seiner Schulter hängt. Man hat den Eindruck, dass er tatsächlich in dem Augenblick irgendwohin getragen werden muss, vielleicht dorthin, wo Hilfe möglich ist. „Er ist nicht schwer, er ist mein Bruder“. In einer Passage des Songs heißt es:

 

„Wenn überhaupt etwas auf mir lastet
Dann lastet auf mir die Traurigkeit darüber
Dass nicht alle Menschen
Ihr Herz voll Freude haben
Über die Liebe für einander.“

 

„Einer trage des anderen Last, so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen“ so schreibt Paulus in seinem Brief an die Galater. Lasten tragen, nur aus dem Motiv der Gesetzestreue heraus? Reicht das aus, um Lasten leichter zu machen? Mit „Gesetz“ ist wohl kaum ein Text mit an-einandergereihten minutiös regelnden Paragraphen gemeint. Ich meine, dass damit viel mehr die innere Ordnung und das Aufeinanderbezogensein der Menschen in der Schöpfung Gottes gemeint ist. Dann wäre es das, was uns heil sein lässt; wenn man so will etwas zutiefst Artgerechtes. In dieser Sicht wird die Liebe zur motivierenden und verbindenden Energie. „Einer trage des anderen Last“ wird vor diesem Hintergrund zu einer Verheißung für alle Menschen: Keiner soll an seiner Last zugrunde gehen. Und wenn es tatsächlich funktioniert und wir nicht mehr traurig sein müssen, dass nicht alle Menschen ihr Herz voll Freude haben über die Liebe für einander, dann wird auch keiner an seiner Last zugrunde gehen!

 

In diesem Sinne sind die Bahnhofsmissionen mit allen, die sich in Ihnen aus tiefster Überzeugung engagieren, eine glaubwürdige Instanz organisierter und ansteckender Nächsten-liebe und mit Garant dafür, dass Menschen an ihren Lasten nicht zugrunde gehen und Hoffnung haben können. Sie sind auch in der Corona-Zeit einfach da. Das ist ein göttlicher Schatz in unserer Gesellschaft.

 

Marion Paar

 

 

Marion Paar
Generalsekretärin
IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit - Deutschland e.V.