29. SEPTEMBER 2020

Gedanken zum Michaelistag

Ps. 34,8: Der Engel des Herrn umschirmt alle, die ihn fürchten und ehren, und er befreit sie.


Knechte, Mägde und Dienstboten wurden früher traditionell entweder zu Michaeli (29. September) oder zu Mariae Lichtmess (2. Februar) eingestellt. Der Michaelistag spielt damit für die Geschichte der Bahnhofsmission eine wichtige Rolle: In ihren Anfängen waren die freiwilligen Helferinnen der Bahnhofsmission in erster Linie an den sog. Quartalstagen, d. h. auch am Michaelistag, in den Bahnhöfen im Einsatz. Michael ist ein Erzengel mit einem Schwert in der Hand. Es mag überraschen, dass neben so eingängigen Vorbildern wie der Heiligen Elisabeth oder dem barmherzigen Samariter auch diese eher aggressiv wirkende mythologische Symbolgestalt mit der Bahnhofsmission verbunden ist.


Der Erzengel Michael ist ein Kämpfer mit meist martialischer Geste. Sein Erkennungszeichen ist das Schwert. Oft befindet er sich in einem dramatischen Kampf mit einem Drachen. Dieses furchterregende Fabelwesen symbolisiert ausdrucksstark das Böse bzw. den Teufel.


Michael ist eine martialische Gestalt. Es sagt viel über die Geschichte unseres Landes, dass Deutschland just den Erzengel Michael und „Patron der Soldaten“ zum Landesheiligen hat. So mancher vermeintliche Feind Deutschlands, den es zu bekämpfen galt, wurde schon mit dem Drachen identifiziert. Dadurch wurden Konflikte geschürt und Vorurteile genährt. Sich selbst sah Deutschland dabei selbstverständlich immer in der Rolle des Verteidigers und auf der Seite des Rechts. Auf diese Weise wurde Michael für die Durchsetzung der eigenen Interessen instrumentalisiert.


Michaels Schwert symbolisiert Macht. Das muss nicht notwendig schlecht sein. Bei der Macht kommt es immer darauf an, wofür oder wogegen man sie einsetzt.


In Psalm 34 7f ist es eindeutig, wie Gott seine Macht einsetzt: „Da ist ein Armer; er rief, und der Herr erhörte ihn. Er half ihm aus all seinen Nöten. Der Engel umschirmt alle, die ihn fürchten und ehren, und er befreit sie.“ Der Herr lässt sich also von einem armen Menschen rufen. Er setzt seine Engel ein, um ihn zu schützen, ihm zu helfen und ihn zu befreien.


Wer von uns hat sich nicht schon mal gewünscht, dass eine*r kommen möge, um mit scharfem Schwert gegen eine tief empfundene Ungerechtigkeit vorzugehen?! Dass endlich jemand offensichtlichen Missständen mit Macht Einhalt gebietet, Egoisten und Scharlatane in ihre Grenzen weist! Dass die Ohnmächtigen durch machtvolles Eingreifen ermächtigt werden! Das könnte wirklich eine Befreiung sein.


Den friedvollen Bildern von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmolzen werden, oder von den Menschen, die dem Angreifer, statt sich zu wehren, ihre zweite Wange anbieten, stehen auch im neuen Testament Bilder gegenüber, die viel aggressiver sind: Da ist Jesus, der im Tempel die Tische der Händler umschmeißt und sie vertreibt. Oder Maria, die im Magnifikat von den machtvollen Taten Gottes spricht, mit denen er die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht.


Wer eintreten will für diejenigen, die übersehen und benachteiligt werden, wird nicht ohne Schwert auskommen: Das Schwert der flammenden Rede, der Schlagaustausch der Argumente, der Kampf um die Mittel, der Konflikt um Interessen. Wer dafür Kraft und Mut sucht, kann sich an der Symbolgestalt des Erzengels Michael orientieren. Der Gedanke, dass wir alle auch in unseren inneren und äußeren Kämpfen unter Gottes Schutz stehen, indem er seine Engel sendet, die uns umschirmen, kann uns stärken, wenn wir mit Macht für andere eintreten.


Dr. Gisela Sauter-Ackermann
Bundesgeschäftsführung Bahnhofsmission

 

 

 

Dr. Gisela Sauter-Ackermann

Katholische Geschäftsführung