04. SEPTEMBER 2020

Gedanken zum 04. September 2020

Perspektivwechsel
Schlagworte: Mann –Bahnhof – beten -Perspektive

Der Mann stand in der Ecke auf Gleis 1 des Frankfurter Hauptbahnhofes. Die Hände gefaltet, den Kopf zur Wand gerichtet. Beim Näherkommen hörte ich, dass er vor sich hin murmelte, konnte aber erst nicht verstehen, was er sagte. Ich unterbrach den Weg zu meinem Arbeitsplatz in der Bahnhofsmission und blieb stehen. Ich hörte nur einzelne Worte: „dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden….“ Der Mann betete!

Die Menschen liefen an ihm vorbei. Sie nahmen den Mann nicht wahr. Ich schaute in ihre Gesichter. Würde sich von denen jemand im Hauptbahnhof in die Ecke stellen und ein Gebet sprechen? Würde ich es selbst tun? Ich weiß es nicht.

Später sah ich den Mann in der Bahnhofsmission stehen. Ich hörte, wie er den Kollegen nach einer Reiseauskunft fragte. Ein ganz normaler Reisender. Ein Mensch wie Sie und ich.

Für einen Moment überlegte ich, ihn zu fragen, warum er vorhin gebetet hatte, traute mich dann aber doch nicht. Es ging mich ja auch nichts an.

Nachdenklich ging ich in mein Büro. Ich bete auch – oft, wenn ich in schwierigen und für mich unlösbaren Problemen stecke und nicht weiterweiß. Wenn mir die Worte gerade fehlen, dann bete ich auch das „Vater unser“. Aber einfach so, in einer Ecke des Hauptbahnhofs?

Hilft beten denn? Amerikanische Wissenschaftler kamen nach längeren Gesundheits-Studien zu dem Ergebnis: Beten kann helfen, Krankheiten vorzubeugen, schneller gesund zu werden und länger zu leben. Ich würde das vielleicht nicht ganz so steil sagen. Aber ich glaube, Beten verändert die Perspektive, gerade, wenn ich in meinen Gedanken nur um mich selbst kreise. Beim Beten kann ich innerlich einen Schritt zurück treten, mich für einen Moment selbst los lassen. Das verändert den Blick auf mein Leben.

Beten ist kein Selbstgespräch. Beten hat mit Hoffnung zu tun – Hoffnung, dass Gott mich hört. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche. Aber er hört alle unsere Gebete.

Diakon Carsten Baumann